Kirche des Monats Oktober 2006

Überlingen, Münster St. Nikolaus


Das Überlinger Nikolaus-Münster

Blick auf das Überlinger Münster

Blick auf das Überlinger Münster

Mächtig ragt aus dem alten Stadtkern der ehemals freien Reichsstadt Überlingen das gotische  fünfschiffige Münster auf. Mit der noch erhaltenen Stadtbefestigung, den alten Bürgerhäusern, dem Kaufhaus, den Klöstern und Klosterhöfen, dem Schnitzwerk im Ratssaal, dem Stadtmuseum und dem Fachwerkensemble des Dorfes steht es für eine beeindruckende kirchliche und städtische Tradition. Der Erhaltung dieses Erbes weiß sich die Kirchen- und Stadtgemeinde mit beständigem Selbstbewusstsein und finanziellen Anstrengungen bis heute verpflichtet.

 

Der heutige spätgotische Münsterbau ( ab 1424 ) hat mindestens 5 Vorgängerkirchen, je nachdem wie man die An– und Umbauten zählt. Man kann die einzelnen Bauetappen parallel zu bedeutenden Ereignissen und Einschnitten in der Stadtgeschichte verfolgen.


Von der Nikolauskapelle zur gotischen Stadtkirche

Entsprechend der Stadt-Entwicklung kann man den Bauperioden die Namen geben :

Fischer-Kapelle, Markt-Kirche, Zünfte-Kirche, Pfarr-Kirche, Reichsstadt-Kirche, Nachreformatorische Kirche.

  • Fischer-Kapelle, um 1000 :
    An der Stelle des heutigen Münsters stand eine Kapelle der schon um 770 erwähnten Fischer-Siedlung Iburinga,  ein kleiner einschiffiger romanischer Saalbau.
  • Marktkirche, nach 1150 :
    Als sich Überlingen an einer bedeutenden Handelsstraße zu einem wichtigen Fährübergang über den See entwickelte und Friedrich Barbarossa dem Königsgut das Marktrecht verliehen hatte ( um 1180 ), folgte eine etwas größere dreischiffige, chorlose Säulenbasilika.
  • Zünfte-Kirche, nach 1280 :
    Aus der königlichen Marktgemeinde wurde eine Bürgerstadt mit Räten und einer Zunftverfassung ( um 1300 ). Die romanische Basilika wurde um einen Chor und 2 Seitenkapellen erweitert. Die ältesten Andachtsbilder im Münster sind Skulpturen aus dieser Zeit, ein sitzender lehrender Kirchenpatron Nikolaus und eine „Verkündigung“

Diesen drei romanischen Bauetappen folgten drei gotische:

  • Pfarrkirche, 1350 - 1420 :
    Nach dieser Entwicklung Überlingens zur Stadt am See war es nicht mehr denkbar, dass die eigentliche Pfarrkirche im oberhalb der Stadt gelegenen Weiler Aufkirch blieb. Dort gab es seit der frühen Besiedlung des Bodenseeufers wohl eine sog. Hofgut-Kirche ( Eigenkirche St. Michael ), die mit der Zeit die Pfarrrechte für die ganze Gegend erhielt. Nach dem Wechsel der Pfarrrechte auf St. Nikolaus in die Stadt kam es zu ersten größeren gotischen Bauänderungen: Verlängerung des Hauptschiffes, Errichtung des gotischen Chores, Bau des 4 stöckigen  Nordturmes für das erste Geläute und des bis heute niedrigeren Südturmes. In ihm läutet seit 1444 die auf  dem Münsterplatz gegossene 177 z schwere Osanna-Glocke 


"Pfarrkirche" / "Reichsstadtkirche"
"Pfarrkirche" / "Reichsstadtkirche"

"Pfarrkirche" / "Reichsstadtkirche"


  • Reichsstadt-Kirche, 1424 - 1510 :
    Die vollständige Reichsfreiheit ( 1397 ), der wirtschaftliche Aufschwung durch den Wein- und Getreidehandel beflügelten Überlingen zu einem vollständigen Neubau des Kirchenschiffes nach Ulmer- und Schwäbisch-Gmünder Vorbild, einer Hallenkirche unter der Leitung von Hans Dietmar ( 1424 – 1460 ). Diese wurde ab 1470 noch erweitert durch einen Kapellenkranz zwischen den Strebepfeilern. Es war ein repräsentativer Bau einer selbstbewussten Reichsstadt. Die beiden wichtigsten Baumeister Vinzenz Ensinger und Lorenz Reder kamen aus Ulm bzw. aus Speyer. Die Kapellen wurden mit ersten Fresken ausgemalt oder mit einzelnen gotischen Skulpturen bestückt.
  • Nachreformatorische Kirche, 1512 – 1524; 1544 – 1576 :
    Wohl schon im Stadium der Hallenerweiterung wurde noch vor der Reformation nach Ulmer Vorbild begonnen mit dem Umbau zur Basilika durch Absenkung der Seitenschiffe und Erhöhung der Mittelschiffes. Baumeister war im wesentlichen Christian Wolgemut. Nach einem Baustillstand während der Reformation am Bodensee – wobei Überlingen katholisch blieb - wurde die Basilika mit der vollständigen Einwölbung, der Verlängerung nach Westen, der Vorhalle und der Turmerhöhung mit einer welschen Haube vollendet. Dieser Nordturm nahm ein neues Geläute auf, mit zum Teil alten -, zum Teil umgegossenen und zum Teil neuen Glocken. Der Apostelzyklus im Schiff und die gotische Kanzel gehören in diese letzte Bauphase.(um 1550 )


Vielfältige Eindrücke im Innenraum

Der Innenraum: Hauptschiff

Der Innenraum: Hauptschiff

Betritt man das Gotteshaus durch die immer geöffnete nördliche Vorhalle, so gewinnt man den Eindruck einer 5- schiffigen Hallenkirche, wie sie zuerst geplant war. Im Mittelschiff aber, vor allem beim Eintritt durch das Hauptportal, wird der Blick und Schritt konsequent durch die enggestellten Arkaden und hohen schlanken Pfeiler zum Chorraum mit seinem herrlichen Schnitzaltar geführt. Dieses sakrale Zentrum erhält etwas Bühnenartiges durch den heruntergezogenen Triumphbogen, auf dessen Wand darüber ein Fresko vom Jüngsten Gericht wie ein halb herabgelassener Vorhang wirkt ( 1720, Karl Stauder ).  Die mit stilisierten Blumenmotiven bemalten Netzgewölbe geben dem kühlen grauen Sandsteinbau Wärme und Heiterkeit ( Marx Weiss , nach 1550 ).

 

Bei einem Rundgang durch die äußeren Schiffe wiederum verschwindet der Gesamteindruck und die vielen kleinen Seitenkapellen zwischen den Strebepfeilern mit ihren gestifteten Altären sind bis heute Stätten privater Andacht, wie sie auch von den Stiftern gedacht waren.


Das Ende des 19. Jahrhundert ließ bei einer Restauration von den ehemaligen wohl gotischen Fenstern nichts übrig und gestaltete im neogotischen Stil eigene bunte Chorfenster. Man mag dies aus kunstgeschichtlicher oder historischer Sicht bedauern, muss aber zugeben, dass der Chorraum durch ihre prächtige ornamentale, figürliche und farbige Gestaltung eine passende feierliche Ergänzung zum ungefassten Holzschnitzaltar erhielt. Die neue festliche Beleuchtung des Hochaltares beim Gottesdienst macht dieses Empfinden noch eindringlicher.


Die Ausstattung mit Altären, Skulpturen und Fresken

Die Ausstattung des Raumes stammt aus allen Bauepochen vom 14. bis ins 20. Jahrhundert. Dabei sind die Altäre Musterbeispiele einer kontinuierlichen stilgeschichtlichen Entwicklung seit der späten Gotik. Besonders der imposante Renaissance-Hochaltar, ein Schnitzwerk der Bildhauerfamilie Zürn, íst ein unwiderstehlicher Blickfang für jeden, der das Münster durch das Hauptportal betritt und nach vorne schreitet. 

 

Der Hochaltar, 1613 vom Rat der Stadt an den ansässigen Bildhauer Jörg Zürn in Auftrag gegeben, wurde in 3 Jahren geschaffen. Dabei holte der Bildhauer seinen Vater und 3 seiner Brüder zur Mithilfe aus der Heimatstadt Bad Waldsee, wo sie wie Jörg beim Vater das Bildschnitzerhandwerk gelernt hatten. Während von Jörg der Entwurf und die Hauptmotive stammen, sind die einzelnen-, flankierenden Heiligenfiguren Werke des Vaters und der Brüder. Die Familientradition der späten Gotik wird von Jörg, der beim Renaissance-Bildhauer Hand Morinck in Konstanz Geselle war, in den neuen Stil überführt. Sowohl der Vater als auch die Brüder "gehen am Hochaltar in seine Schule".

 

Auch in der Ikonografie des Altares kommt noch einmal das vergangene Mittelalter ins Spiel, das Ensemble thematisiert das traditionelle geschlossene Welt- und Glaubensbild der vergangenen Zeit, von dem die Stadt geprägt worden war : Die Reichsgeschichte, die Stadtgeschichte und der bedrohte Alltag, im Glauben eingebettet in das Heilsgeschehen.


Hochaltar / Weihnachtsszenen
Hochaltar / Weihnachtsszenen

Hochaltar / Weihnachtsszenen


Den Auftakt für den Gang durch die Altargeschichte bildet der spätgotische Kreuzaltar von Hans Ulrich Glöckler : Ein Flügelaltar mit einer Kreuzigung im Schrein und den zwei Legenden zu den beiden Kreuzfeste in den Flügeln.

 

Mit üppigen Aufbauten und Skulpturen zieren im Barock- und im neogotischen Stil fünf Altäre die Seitenkapellen. Die Bildhauerwerkstätten Machein, Eberle, Marmon und Mezger waren damit beauftragt.


Die vier Hauptbilder von der Predella bis zur Spitze zeigen das Heilsgeschehen :
Die Verkündigung, die Geburt Jesu, der Kreuzestod, die Erhöhung Jesu zur Rechten des Vaters bis zur Krönung Mariens, der Ersterlösten. Die Notwendigkeit der Erlösung ( von Tod, Krankheit und Sünde ) wird deutlich durch einen echten Totenschädel zu Füßen des erhöhten Jesus, durch die Erinnerung an die gerade überstandene Pest (mit den Pestheiligen Rochus und Sebastian ) und durch den gestürzten Satan zu Füßen Michaels.

 

Für Überlingen wird diese Weltdeutung im Glauben vermittelt in den Kirchen am Ort, deren drei Patrone Nikolaus (Münster), St. Michael (Mutterkirche Aufkirch ) und Sylvester (älteste Kirche vor den Toren der Stadt) den Hochaltar in 3 Eckpunkten eines Dreiecks umschließen. Man kann vielleicht im Erzengel Michael und Papst Sylvester für Überlingen noch einen reichsstädtischen Gesichtspunkt vermuten: Das Heilswerk Jesu wird bis zu seiner Wiederkunft in der Geschichte fortgesetzt durch das Reich und die Kirche, deren beide Repräsentanten Michael und Papst daran erinnern In Überlingen, einem wichtigen Seeübergang auf dem Jakobsweg, darf eine Jakobusstatue am Hochaltar natürlich nicht fehlen.

 

Im Hauptbild der Geburt Jesu legt Jörg Zürn das Geschen in ungewohnter Weise aus. Den Mittelpunkt bildet das Kind auf einer nackten Kantholzpritsche. Links ganz an den Rand gerückt sitzt Maria und deutet mit einer Hand auf das Kind mit späteren Worten aus ihrem Leben "Was er euch sagt, das tut". Die vier Hirten begegnen dem Kind jeder in einer anderen Glaubenshaltung.  Statt des Engel-Chors purzelt auf dem Stalldach eine gelenkige Puttengruppe freudig durcheinander, in die ein "mütterlicher" Engel Ordnung zu bringen versucht.


Marienaltar / Kreuzaltar
Marienaltar / Kreuzaltar

Marienaltar / Kreuzaltar


Zwei weitere Altäre von Jörg Zürn sind der sog. Betzaltar und der Allerseelenaltar.
Der Marienaltar oder Betzaltar, 1607 bis 1610, genannt nach dem Stifter Junker Erasmus Betz enthält in einem Renaissance-Aufbau Bildszenen vom Tod Mariens, ihrer  Krönung im Himmel und Maria als Beschützerin der Familie Betz.

 

Der Allerseelenaltar oder Schutzengelaltar ( 1634 ) war das letzte Werk Jörg Zürns vor seinem Tod 1636. Er wurde zum Gedächtnis des verstorbenen Stifters des Marienaltares von dessen Bruder gestiftet. Schutzengel, die Erzengel Raphael und Gabriel, die Sterbebegleiter Ursula und Christophorus sind dargestellt. Der Rosenkranzaltar von den Brüdern Martin und David Zürn rundet die Reihe der Zürn-Altäre ab. Ihm gilt im Monat Oktober die besondere Aufmerksamkeit.

 


Bedeutende Ausstattungsstücke sind die Skulpturen, die  zum Teil schon aus den Vorgängerkirchen des Münsters: stammen :

  • Ein sitzender lehrender, jugendlicher Bischof Nikolaus aus der  Konstanzer-Werkstätte des Meisters Heinrich (1300)
  • Eine Verkündigung eines oberrheinischen Meisters (1300)
  • Skulpturen für das Chorgestühl  (1430)
  • Ein kreuztragender Christus, die  sog. "usfürung" (1430)
  • Eine Pieta aus der schwäbischen Schule (1470)
  • Eine sog. schöne Madonna, die apokalyptische Frau vom Ulmer Bildhauer Gregor Erhart (1510)
  • Eine Kanzel mit prächtigem Kanzelkorb ( 1550)
  • Ein Apostelzyklus an den Pfeilern (1560)
  • Ein Sakramentshaus von Jörg Zürn  (1611)
  • Ein Nikolaus von Georg Machein (1705)


Hl. Nikolaus (1300) / Erhart-Madonna (1510)
Hl. Nikolaus (1300) / Erhart-Madonna (1510)

Hl. Nikolaus (1300) / Erhart-Madonna (1510)


Bevor die Altäre gestiftet wurden, hatten die Seitenkapellen schon heute noch erhaltene Fresken:

 

  • Die heilige Elisabeth legt die Krone nieder  (1475)
  • Maria in den Sonnen (1475)
  • Eine Visitatio  (1540),
  • Heiligen-Darstellungen

 

In der süd-westl. Vorhalle ist eine Schutzmantelmadonna von Marx Weiss 1560)
Die gotische Achtecklaterne des Ölberg ist ein beherrschender Akzent in der Südwestecke des Münsterplatzes. Er wird dem Baumeister Lorenz Reder aus Speyer zugeschrieben, der auch Münsterbaumeister in Konstanz war.

Die beiden Orgeln

Auf der West-Empore steht die große Nikolaus-Orgel von 1968 mit 53 Registern, verteilt auf drei Manuale und Pedal. Sie ist ein Gemeinschaftswerk der beiden Überlinger Orgelbauwerkstätten Mönch und Pfaff. 

 

Die barocke Marienorgel am linken Seitenaltar ist ein Orginalwerk des Würzburger Hoforgelmachers Seufertt aus dem Jahr 1761. Sie hat 12 Register, 10 im Manual und 2 im Pedal.



Text: Manfred Bruker
Fotos: Herbert Moll

 

Siehe auch auf weitere Webseite:

Der Überlinger Rosenkranzaltar



Kontakt:

Kath. Pfarramt St. Nikolaus

Münsterplatz 1

88662 Überlingen

Telefon: 07551 / 92720

www.muenstergemeinde-ueberlingen.de